Marlene: Publikum ja – Presse nein
In Düsseldorf westdeutsches Gastspiel eröffnet

DÜSSELDORF, 16. Mai (dpa). Marlene Dietrich begann am Montag ihr west- und süddeutsches Gastspiel. Während ihres fünftägigen Aufenthalts in Düsseldorf sind Vorstellungen in Düsseldorf, Köln, Wiesbaden und Bad Kissingen vorgesehen. Bad Kissingen wurde für das ausgefallene Gastspiel in Essen neu in das Tourneeprogramm aufgenommen.

Etwas abgespannt, das Gesicht von einem grauen Topfhut und einem weißen Fliederstrauß halb verdeckt, traf Marlene Dietrich am späten Sonntagabend aus Schweden auf dem Flughafen Lohausen ein. Eine Stunde später kreuzte sie in ihrem Hotel mit einem Dutzend Pressevertretern in einem Frage-und-Antwort-Spiel die Klingen. Anfangs verhielt sie sich abwartend, im Laufe des Gesprächs aber ging sie aus sich heraus und sparte nicht mit bissigen Bemerkungen über die deutsche Presse.

„Ich habe während meines Abstechers nach Skandinavien mit keinem Wort gesagt, dass ich nach diesem Gastspiel nie mehr nach Deutschland zurückkehren werde, weil mich das Publikum enttäuscht habe.“ Tatsächlich habe sie erwähnt, Wiederholungsgastspiele versprächen keinen Erfolg. „Deshalb komme ich in ein einmal bereistes Land sobald nicht wieder. Das gilt für England so gut wie für Deutschland.“

Ohne sichtbare Nervosität ging die Deutsch­Amerikanerin auch auf heikle Fragen ein, während sie die weiß behandschuhte Rechte mit der Zigarette zum Mund führte. Mit übereinander geschlagenen Beinen lehnte sie sich in ihr Fauteuil zurück und antwortete mit leiser, rauer Stimme.

Teurer als die Callas

Ob sie wisse, dass man für ihre Vorstellungen die höchsten Eintrittspreise (bis zu 100 Mark) nehme, die je in Deutschland gefordert wurden, forschten die Journalisten. „Es war für mich unbegreiflich, dass ich teurer als etwa die Callas bin“, meinte sie. Dennoch sei es zweifelhaft, ergänzte sie, ob ihre Europareise wirtschaftlich befriedigend verlaufe. „Ich muss die 50 Begleiter meiner Show, darunter hoch bezahlte Kräfte – Musiker, einen Tänzer und den bekanntesten Beleuchter Hollywoods – von den Einnahmen bezahlen.“

„Wie beurteilen Sie den Publikumserfolg Ihrer bisherigen Deutschlandreise, gnädige Frau?“ Nach dieser Anspielung auf den teilweise zögernden Kartenverkauf herrschte eine Sekunde Verlegenheit im Raum. Dann brach die souveräne Schauspielerin in Marlene durch. Sie lächelte: „Publikum und Presse sind zweierlei. Und es kommt allein auf die Publikumsgunst an.“ Ob dies überall so sei, fragte man sie. „Nein“, antwortete sie bitter, „anderswo geht die Presse mit dem Publikum überein.“

Ihr Skandinaviengastspiel hatte Marlene Dietrich am Wochenende mit einem glanzvollen Erfolg in Stockholm abgeschlossen. Das Publikum jubelte vor Begeisterung, als die Dietrich als Zugabe „Lilli Marlen“ sang. Das Lied war vom Programm abgesetzt worden, weil der Veranstalter unliebsame Erinnerungen an den Krieg fürchtete.

Frankfurter Rundschau, Frankfurt, vom 17.05.1960